Berliner Bärenfreunde e.V.

Geschichte der Berliner Meilensteine von 1954 an westdeutschen Autobahnen Kleindenkmale aus der Zeit der deutschen Teilung

1. Vorbemerkung

Im Internet kursieren viele Einzelinformation zu Geschichte und Standorten der „Berliner Meilensteine“ an Autobahnen, Straßen und Plätzen. Vieles wurde nach und nach zusammengetragen und im Lauf der Zeit ergänzt. Deshalb schwanken die Qualität der Artikel und die Angaben zu den Standorten der Kilometersteine sehr, wie Vergleiche zeigen. Manche Auskünfte sind schlicht falsch.

Dieser Beitrag erläutert anhand der Quellen, wie es zur Aufstellung der ,Berliner Meilensteine‘ kam, worauf der Name zurückzuführen ist und an welchen Stellen die ersten Steine errichtet wurden. Als Basis dienen eigene Archiv-Recherchen und die enge Zusammenarbeit mit dem Verein der Berliner Bärenfreunde e. V. (www.berliner-baerenfreunde.de), der Initiative Denkmalschutz für Berliner Meilensteine (www.berliner-meilensteine.de) bzw. dem Bildportal Bären für Berlin (www.m1k.de).

Damit liegt zum ersten Mal eine systematische Abhandlung zum Thema vor, die mit Mythen, Zuschreibungen und Fehlern aufräumt und den derzeitigen Stand der Erkenntnisse zusammenhängend aufbereitet. Dieser Grundlagen-Beitrag wird durch drei weitere Aufsätze ergänzt, die sich detailliert mit den Standorten der Berliner Meilensteine befassen.

2. Der Ursprung

Die zunehmend prekäre Situation West-Berlins in der Zeit des „Kalten Krieges“ und der am 17. Juni 1953 brutal unterdrückte Arbeiter-Aufstand nahm der Hamburger Verleger, Zeit-Mitbegründer und CDU-Abgeordnete Gerd Bucerius zum Anlass für die Anregung, an westdeutschen Autobahnen im Abstand von 100 km Erinnerungssteine für die geteilte Stadt aufstellen zu lassen. Bucerius gehörte von September 1949 bis Februar 1962 dem deutschen Bundestag an und war während der ersten Wahlperiode 1949 – 1953 Vorsitzende des Berlin-Ausschusses.

Die Idee, mit kleinen Bären Werbung für Berlin zu machen, ging auf den seinerzeit überaus populären Berliner Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter (1889-1953) zurück. Sein Nachfolger Otto Suhr (1894-1957) sandte Bucerius eine Bärenskulptur zu, die als Grundlage für den Entwurf des Graffitos auf dem Stein diente. [1]

Das Meilenstein-Relief, ein das Berliner Stadtwappen symbolisierender stilisierter Bär, schuf die Berliner Künstlerin Renée Sintenis im Jahre 1954. Der aufrecht stehende Bär ist im linksseitigen Profil zu sehen und weist mit seiner erhobenen rechten Tatze den Weg nach Berlin. Als Vorlage nahm die Künstlerin eine Bärenstatuette, die sie bereits 1932 geformt und in Bronze gegossen hatte. Ein Prototyp ohne Kilometerangabe ist in der Grünanlage vor der Renée-Sintenis-Grundschule am Laurinsteig in Berlin-Frohnau zu sehen. [2] Die Bären-Statuette von 1932, der sogenannte „junge Bär“, diente von 1953 bis 1959 als Siegestrophäe für die Berliner Internationalen Filmfestspiele. Ihm folgte 1960 ein neuer Berlinale-Bär, der sich aufgrund seiner markanteren Silhouette besser als Auszeichnung für ein hochrangiges Filmfestival eignete. Eine lebensgroße Fassung (Höhe 160 cm) dieses ´Berlinale-Bären‘ wurde 1958 anlässlich des 70. Geburtstages von Renée Sintenis auf dem Mittelstreifen der heutigen A 115 bei Dreilinden nahe dem Zehlendorfer Dreieck aufgestellt. Weitere Statuen dieser Art stehen auf dem schmalen Mittelstreifen der A 113 zwischen den Ausfahrten Schönefeld-Nord und Adlershof (auf einem Sockel über den Betonleitplanken), in Düsseldorf (eingeweiht von Willy Brandt) sowie auf dem Mittelstreifen der Autobahn A 9 in Höhe der Anschlussstelle München-Fröttmaning-Süd.

Ziel der von Bucerius lancierten Idee war es, „die Verbundenheit der Deutschen Bundesrepublik mit Berlin zum Ausdruck zu bringen“ und „auf Berlin als die eigentliche Hauptstadt Deutschlands hinzuweisen“. [3] Die Aktion beschlossen die zuständigen Bundesministerien in einer Ressortabstimmung. Der Begriff „MEILENSTEIN“ lehnte sich an die in Preußen früher übliche Praxis an, Postkutschenrouten mit Entfernungsangaben in (preußischen) Meilen, bezogen auf das jeweilige Berliner Stadttor, zu versehen. Mit einem Erlass des Finanzministers Rother wurde 1837 ein Kandelaber am Berliner Stadtschloss zum einheitlichen Nullpunkt für die Straßenvermessung und Entfernungsangaben bestimmt.

Für die hier beschriebenen „Autobahn-Gedenksteine“ bildete die Replik eines ´Null- Meilensteins’ am Berliner Dönhoffplatz den Referenzpunkt. [4] Die Nennung der Aufstellungsorte im Ministererlass bezogen sich jedoch auf die seit 1939 gültigen Nullpunkte für die Kilometrierung der Autobahnstrecken. Somit ergibt sich zwischen jeweiligem Standort und km-Aufschrift eine Differenz von rund 50 km.

3. Erste Standorte an westdeutschen Autobahnen

Das Rundschreiben des Bundesverkehrsministeriums enthält genaue Vorgaben zu den Aufstellungsorten der Meilensteine und den Kilometer-Angaben an drei nach Berlin führenden westdeutschen Autobahnstrecken. Der federführende Ressortleiter, Ministerialrat Dr. Kunde, hatte die Strecken aus Blickrichtung Berlin beschrieben, was nicht weiter verwundert, da er bis Kriegsende im Stab des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen tätig gewesen war.

Insgesamt sollten 17 Gedenksteine im Abstand von je 100 km aufgestellt werden. Die Aktion betraf die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die zuständigen Obersten Straßenbaubehörden in Stuttgart, München, Wiesbaden, Düsseldorf und Hannover erhielten Kenntnis von folgenden Strecken (zum besseren Verständnis in Fahrtrichtung Berlin mit den heutigen Autobahn-Nummern beschrieben):

Berlin-Strecke 1: Autobahn Frankfurt – Köln – Oberhausen (A 3) und Autobahn Oberhausen – Hannover – Helmstedt (A 2) –   6 Meilensteine;

Berlin-Strecke 2: Autobahn München – Stuttgart – Karlsruhe (A 8) und Autobahn Karlsruhe – Mannheim – Frankfurt – Kirchheim – Kassel – Hannover (A 5, A 656, A 67, A 5, A 7) – 6 Meilensteine;

Berlin-Strecke 3: Autobahn Salzburg – München (A 8) und Autobahn München – Nürnberg – Hof (A 9) – 5 Meilensteine.

Die einzelnen Aufstellungsorte werden in separaten Beiträgen dargestellt. Der Bericht zu den Meilensteinen an den bayerischen Autobahnen (A 8 und A 9) liegt bereits vor. [5]

4. Gestaltung und Fundament

Das Ministerium hatte darum gebeten, die Fundamente an den vorbestimmten Orten umgehend vorzubereiten, damit sie Mitte Januar 1954 für die Errichtung der Meilensteine zur Verfügung stehen könnten. Offenbar hat sich das Procedere jedoch verzögert, denn aus den Akten ist z. B. für Bayern ersichtlich, dass der Plan für die Ausführung des Fundaments erst am 16. März an die Straßenbauämter verteilt wurde. Der erforderliche Erlass des bayerischen Ministeriums des Innern war erst zwei Wochen zuvor, datiert 1. März 1954, ergangen. Es ist anzunehmen, dass die anderen betroffenen Bundesländer ebenfalls ungefähr in diesem Zeitraum tätig geworden sind.

Den Auftrag für die Herstellung der 17 Meilensteine erteilte das Bundesverkehrsministerium an die Portlandzementfabrik Dyckerhoff & Söhne, Wiesbaden-Amöneburg. Die Zeichnung zur Ausführung der Meilensteine im Maßstab 1 : 5 vom 7.9.1953, korrigiert am 12.11.1953, lag auch dem Rundschreiben bei. Sie zeigt folgende Maße: Gesamthöhe 146 cm, davon 119 cm sichtbar und 27 cm für die Aufstellung im Sockel und das umgebende Erdreich (siehe Bild 1).

Als Materialien für den Kunststein kamen heller Taunusquarzit und weißer Zement zum Einsatz. Die Oberfläche konnte mit Sandstrahlgebläse oder mit dem Stockhammer bearbeitet werden, die Kanten ohne Scharrierschlag bleiben. Das Bärenrelief und die Schrift waren unbearbeitet auszuführen, also ohne Farbauftrag.

Die Zeichnung für die Ausführung des Sockels hatte die Firma Dyckerhoff angefertigt. Der Zementsockel sollte mit der Oberfläche des Erdreichs bündig abschließen. Seine Außenmaße waren mit 60 x 110 x 50 cm vorgegeben, die am oberen Rand gefaste Aussparung zur Aufnahme des Meilensteins betrug 16 x 90 x 30 cm (jeweils H x B x T). Der obere Rand des Sockels war 9 cm breit, um beim Einsetzen des Meilensteins ein gewisses Spiel zu haben. Wie der Zeichnung zu entnehmen ist, sollte der ringsum sichtbare, 1 cm breite Spalt mit Zementmörtel ausgefugt werden. Verankerungseisen waren nicht vorgesehen.

Die Kosten für Fundament, Transport und Aufstellen gingen zu Lasten des Etats für allgemeine Unterhaltsarbeiten an den Autobahnen, die Meilensteine selbst wurden aus Bundesmitteln bezahlt.

Die Steine waren im Mittelstreifen senkrecht zur Autobahnachse aufzustellen, so dass die beschriftete Seite von den in Richtung Berlin fahrenden Verkehrsteilnehmern leicht wahrgenommen werden konnten. Falls die Errichtung des Meilensteins am vorgegebenen Punkt des Mittelstreifens nicht möglich sein sollte (z. B. wegen weit getrennter bzw. abgestufter Fahrbahnen, oder weil an dieser Stelle bereits ein Stein der normalen Kilometrierung steht), durfte er 100 m vor oder nach der Stelle oder ausnahmsweise auch am rechten Fahrbahnrand gesetzt werden.

Das im November 2016 aufgenommene Foto des Meilensteins am Parkplatz Teisenberg bei km 111,2 der Autobahn A 8 Salzburg – München ist ein gutes Beispiel für diese Regelungen: Sockel und Stein (2016 von der zuständigen Autobahnmeisterei Siegsdorf gereinigt) sind noch original erhalten, da beide seit 1954 unverändert an der gleichen Stelle stehen. Die A 8 weist seit ihrem Bau 1935/36 in diesem Bereich einen sehr schmalen Mittelstreifen auf, so dass der Meilenstein von vornherein nur an der Seite der Autobahn errichtet werden konnte.

Reiner Ruppmann, März 2017
Archiv für Autobahn- und Straßengeschichte
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Anmerkungen:
[1] Vgl. Stichwort „Berliner Bär“ bei http://www.wikipedia.org (Zugriff am 24.02.2017)
[2] Siehe www.berliner-meilensteine.de / Geschichte
[3] Rundschreiben des Bundesministers für Verkehr (BMV) vom 24. November 1953 an die obersten Straßenbaubehörden der Länder.
[4] Die Replik des Null-Meilensteins ist heute neben den rekonstruierten Spittelkolonnaden an der Leipziger Straße in Berlin-Mitte zu sehen.
[5] Veröffentlicht in Ausgabe 1/2017 des Journals der Autobahndirektion Nordbayern, Nürnberg, sowie auf der Website www.strassengeschichte.de