Berliner Bärenfreunde e.V.

Ausstellung 16.02. – 28.04.2024 im Berliner Bärenzwinger

Berliner Bärenzwinger 16.02. – 28.04.2024

in
mir draußen
derselbe Muskel: Zunge und Herz
Rike Scheffler
im Zentrum wummert
derselbe Muskel: Zunge und Herz
und bald alle einig
nicht mehr zu schweigen
hinter den Häusern
machen Wind und Licht
Gräser zu Gischt

Mit der Ausstellung in mir draußen stellt der Bärenzwinger Berlin die Lyrik und die sich darin entfaltenden Geschichten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Duo-Ausstellung im Rahmen des Jahresprogramms 2024 KANTEN UND KNOTEN vereint Raum-, Video-, Soundund Lichtinstallationen der Lyriker*innen Nail Doðan und Rike Scheffler. Lyrik als Installation interagiert mit der Architektur des ehemaligen Tierzwingers. Sprache wird raumgreifend: drinnen und draußen.

Geschichten
Der Titel in mir draußen verweist auf die Rolle von Geschichten, die unser Leben bestimmen und unser Zusammenleben ordnen. In dieser Hinsicht knüpfen Geschichten Verbindungen, Relationen in und zwischen Individuen und anderen Lebewesen. Netzwerke von Personen, Orten, Zeiten genauso wie Emotionen, Affekte und Ideen stehen nebeneinander und bilden gemeinsam eine Komposition.
Hier können Fragen der Herkunft und Identität genauso gestellt werden wie Überlegungen zu deren zukünftigen Entwicklungen. Geschichten sind inkorporiert in mir, stehen aber auch draußen in der Öffentlichkeit. So bieten Geschichten die Möglichkeit,
Grenzen des Körpers genauso wie des individuellen oder kollektiven Horizonts zu überwinden, um aus Trennungslinien Verbindungslinien werden zu lassen.

Lyrik und Raum
Die Ausstellung kreiert durch die Verbindung von Lyrik und Raum einen Möglichkeitsraum. In diesem können sich die Besucher*innen individuell und assoziativ eine Geschichte erschließen.
Lyrik als Kunstform kann bislang unbemerkte Zusammenhänge sichtbar machen. Im Raum des Bärenzwingers werden die lyrisch erzählten Geschichten greifbar, wodurch singuläre Momentaufnahmen entstehen können. Möglichkeitsräume drinnen und draußen, in Sprache und Raum.

Lyrik und Leselampe
Im historischen Bärenzwinger erschafft in mir draußen immersive Räume für unterschiedliche Kontexte der Lyrik. In den szenografischen Positionen von Nail Doðan werden herkömmliche Bilder der Lyrik kritisch aufgegriffen. Mit der Verwendung von wohnräumlichen Elementen wie Sessel und Teppich verweist er auf ein populärkulturelles Bild von Lyrik, das diese in die Privatsphäre (innen) verortet.
Diese Repräsentation wird durch die Positionierung in einem Tierzwinger hinterfragt und stellt gleichzeitig Fragen an die Institutionen der Lyrik. Dem gegenüber steht die immersive Video-, Licht- und Soundinstallation von Rike Scheffler. Ausgehend von der Videoinstallation Lava.Ritual kreiert Scheffler Bewegungen aus den Zellen und damit auch aus den herkömmlichen Institutionen der Lyrik heraus.

Lyrisches Erzählen
Sprache ist Kommunikation. Intersubjektiv. Sprache entspricht gesellschaftlichen Normen, in die sich alles eingliedert, das durch Worte ausgedrückt wird. Nuancen gehen verloren. Unsichtbares, Emotionen und ganz und gar Inneres lassen sich mit Worten nicht vollends darstellen. Realität kann mit Erzählungen nicht adäquat abgebildet werden. Aber ohne Sprache gäbe es keine Geschichten, nur eindimensionale Verbindungen zwischen uns, zwischen innen und außen.
Lyrische Sprachverwendung sucht nach Wegen die Zwischenräume der Sprache auszuloten, individuelles Sprechen zu finden und gesellschaftliche Normativität zu durchbrechen, sie teilt sich mit in Metaphern und Analogien; Kompromisse und Neuschöpfungen, im Zeigen und Verbergen.

Lava.Ritual von Rike Scheffler
Der lyrische Kosmos von Rike Scheffler eröffnet spielerische Räume der Fürsorge und Konnektivität. Teilweise aus einer utopischen Zukunft sprechend ersetzt Rike Scheffler das gegenwärtige Verständnis von Individualität durch eine Relationalität, die Grenzen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Sphären auflöst. Sprache wird fluide und entzieht sich dabei klassischen Vorstellungen von Lyrik.

es ist dem Planeten egal
dass ich Sprache verwende
ihn zu beschreiten
— er wächst
über mich hinweg

Die Verse finden sich in der immersiven Videoinstallation Lava.Ritual oder als Lichtverse, die sich Wege durch die Architektur des Zwingers suchen, sich in Wande oder Graben des Zwingers einschreiben. Die prozesshafte Morphologie der Lava steht dabei dem Backsteinbrutalismus des Barenzwingers kritisch entgegen. Der Barenzwinger, der 1939 eröffnet wurde, ist Materialisierung der nationalsozialistischen Ideologie, die hierarchisch ist und einen ausschliesenden Charakter hat.

Rike Schefflers Lava.Ritual begegnet dieser Materialitat mit einer Zartlichkeit, die die Grenzen einreist, die sich in unser Bewusstsein eingebrannt haben.

gemeinsam bilden w:r Bundel . erdgebunden:e
enƒÃrfgi:.n als Refugium, Reservoir

Like Lodos. von Nail Do.an
Wahrend des Produktionstreffens erwahnte Nail Do.an, er wolle sich verstecken, sich in den Zwischenraumen positionieren, in die Mauern. Doch wir wollten ihn gerne auch etwas zentraler, sichtbarer prasentieren. Ware es nach ihm gegangen, befande sich sicherlich ein Gedicht von ihm unter dem Fusabtreter. Die raumliche Positionierung von Nail Do.ans drei Lyrik-Filmen im Barenzwinger ist ein Verweis auf das, was Lyrik kann. Sie kann etwas ausdrucken, das wir vage ahnten, das wir nicht fassen oder festhalten konnten, ein Bild, ein Gesicht, das wir einmal sahen, aber vergasen: Lyrik kann etwas ins uns aufscheinen lassen. Aber sie zeigt sich uns nicht, erklart sich nicht. Sie bleibt uneindeutig: das irritiert und beruhrt. Und ergibt doch ungreifbar Sinn. Das ist es vielleicht, was uns schaudern lasst, wenn wir

Nail Do.ans Verse lesen:

So wie. Hani. Dieses.
Wenn du Kriege in dir
nach Farben sortierst.

Die Geschichten in Nails Do.ans Gedichten sind alltaglich und intensiv. Denn wo . wenn nicht im Alltag, im Cafe, auf der Strase und in der eigenen Kuche . steckt es, das in-der-Weltsein?
Die Worte sind vermeintlich simpel, Nail Do.ans (lyrischen) Sprachen jedoch nicht. Roh und ausgefeilt eröffnen seine Gedichte einen Blick in und durch die Nischen der gesellschaftlichen Struktur und hinterfragen den status quo. Nails Do.ans Werk im Barenzwinger tragt den Titel Like Lodos. Wenn ihr Nail Do.an fragt, was Lodos bedeutet, wird er so etwas sagen wie:


.Wind. Wind aus der Gegend meiner Leute. Kein
Guter. Macht Kopfschmerzen.g

Wollen wir dieselben Dinge weiterhin fur so wichtig nehmen? Fenster sind Fenster und Fuse sind auf dem Boden. Hani. Hanau. Ikiz und Hugelwind und Ingeborgf um. Die Silbe .umg bedeutet im turkischen .mein/eg. In deutschtürkischer Grammatik nennt Nail Do.an sein Gedicht im mittleren Käfig des Barenzwingers

.meine Ingeborgg und warum wir das Wort .postmigrantischg doch nicht benutzen?
.Weil meine Mutter das Wort nicht kenntg.

Wege Wegen
aufm Weg
wegen
Nehir
Nil
das Suchende
sucht Vulva
der Mutter
ein Fullwort
Hoffnung genau
genau
genau
im Ros.
Couscous schwimm
mich mit.
Nail Do.an

AUSSTELLUNG
16.02 – 28.04.2024
Kuratiert von Philipp Hennch und Joana Stamer »in mir draußen « ist der erste Teil des Jahresprogramms KANTEN UND KNOTEN

VERANSTALTUNGEN
15.02.2024 ab 18 Uhr
Eröffnung Sound Performance »Echoes from the Future« von
Rike Scheffler [19 Uhr]
Lesung
mit Nail Do?an [20 Uhr]

26.03.2024 ab19 Uhr
Lesung, Gespräch »Displayed Words«
mit Lou Ferrand Rafael Moreno Kinga Tóth

19.04.2024 ab 21 Uhr » Clinch «
Performance von WILD ACCESS

28.04.2024 16 Uhr
Finissage, Lesungen mit Nail Do?an und Rike Scheffler