Berliner Bärenfreunde e.V.

15.8.2012 Berliner Woche: Die vergessenen Bären

Um den Zwinger ist es still geworden. Über den Verbleib der Tiere gehen die Meinungen auseinander.

Berlin. Im Nachgang zur 700-Jahr-Feier Berlins 1937 schuf sich die Stadt einen Ort, an dem ihr Wappentier leibhaftig werden sollte. 75 Jahre später pflegen Stadtbärin Schnute und ihre Tochter Maxi am Köllnischen Park ein beschauliches Dasein. Unermüdlich zeigen sich nur die Gegner des Zwingers und seine größten Liebhaber.

„Einen Moment, Schnute kommt gleich wieder.“ Christa Junge lächelt verlegen. So als stünde sie als Vorsitzende des Vereins Berliner Bärenfreunde in der Vorführpflicht. Als habe man ein Anrecht darauf, die Stadtbärin sofort zu erspähen. Doch Schnute bleibt im Häuschen. Kastanienblätter wispern über dem Graben. Im Wasserbassin treibt ein Ball. „Tja, schade“, ruft der Mann mit der Latzhose, eilt zurück zu seinem orangefarbenen Müllauto und springt auf.

Die ganz große Bärenliebe

Der Bärenzwinger – ein außerplanmäßiger Haltepunkt der Müllabfuhr. Ein Verweilort für Anwohner und einige Dutzend täglicher Besucher des Köllnischen Parks, dieses Grünfleckens zwischen dem Märkischen Museum und den Mauern der ehemaligen DDR-Bezirksparteihochschule. Wer entzückt sich noch an Schnute und Maxi in der Zeit, nachdem die ganz große Bärenliebe der Berliner mit Knut verstarb?

„Erst gestern war ein Pärchen aus Brasilien da. Sie hatten über den Zwinger gelesen und wollten unbedingt hier hin“, versichert Junge und blickt wieder auf das Tor. Aber noch immer keine Schnute. Ihr Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, die Berliner Bärentradition zu pflegen. Informationen zur Historie des Wappentieres und des Zwingers hält er unter www.berliner-baerenfreunde.de bereit.

Dass die Kunde von der Stadtbärin und ihrer Tochter auch auf ferne Kontinente dringt, ist der 58-jährigen Vereinsvorsitzenden ein Herzenswunsch. Man muss Christa Junges Wohnung, in der sich Hunderte Stoffbären aneinanderschmiegen, einmal gesehen haben, um zu wissen: Der Petz ist nicht nur ein Symbol. Er ist die treibende Kraft in ihrem Leben.

In die Jahre gekommen

Wenn die ehemalige Archivarin nicht gerade die Verbreitung des Stadtwappens erforscht und die Vereinszeitung „Der Berliner Bär“ gestaltet, steht sie im Köllnischen Park am Geländer, schaut und „moderiert“ zwischen Mensch und Tier. Sie tut das oft genug, um den Liebesschwund erklären zu können: „Berlin hat ja so viele andere Attraktionen, die das Interesse auf sich ziehen.“ Dass Schnute und Maxi im gesetzten Alter von 31 und 26 Jahren den Schnappschussjägern keine Artistik mehr bieten, kann man als Einbuße an Attraktivität bewerten. Pflegerin Marlies Gnade, die das Bärenduo im Auftrag des Grünflächenamtes von Mitte seit 20 Jahren betreut, sieht es als Vorteil: „In ihrer Jugend haben die beiden hier beim Spielen ziemlich gewütet, und einiges ging dabei zu Bruch. Jetzt bleibt alles heil.“

Da tapst plötzlich Schnute ins Freie, durchquert den weichen Rindenmulch und watet hinab ins Bassin. Das Quecksilber nähert sich der Marke von 30 Grad. Schnute kühlt ihren Pelz.

Die Letzten in einer Ahnenreihe

„Unsere Bärenkinder sollen es gut haben“, gelobt das Schild am Westflügel des mit Efeu bewucherten Baus. Ob sie es im Zwinger gut haben, ist eine Frage des Blickwinkels. Fest steht, dass diese Bären die letzten in einer Ahnenreihe sein werden, die 1939 mit dem Einzug der Schweizer Bären Urs und Vreni begann. Fest steht auch, dass sie auf Berliner Boden das Zeitliche segnen sollen. So verfügten es die Senatsverwaltung für Umwelt und der Bezirk Mitte vor zwei Jahren, als die angedachte Umsiedlung in den Bärenpark Müritz platzte.

Aus Sicht von Patrick Boncour ein unverständlicher Beschluss. Aber einer, der noch wackeln könnte. „Derzeit lässt das Bundeslandwirtschaftsministerium einen neuen Entwurf für Richtlinien zur Tierhaltung erarbeiten“, sagt der Fachmann der Organisation „Vier Pfoten“. Käme die erwartete Verschärfung durch, könne Anfang 2013 geprüft werden, ob der Zwinger diesen Anforderungen noch genügt.

Noch rege Instinkte

Dass es erst so weit kommen muss, stimmt Patrick Boncour ärgerlich. „Alle, die Bären unter solchen Bedingungen halten, bewegen sich. Nur nicht Berlin“, meint er. Selbst betagte Tiere wie Schnute und Maxi hätten noch rege Instinkte wie das Bedürfnis zum Erkunden neuer Territorien oder den Drang zum Graben von Schlafmulden. „Und wir haben sogar ältere Bären noch erfolgreich in Parks umgesiedelt“, sagt der Hamburger.

In Berlin argumentiert man nach einer anderen Logik. „Das wäre so, als ob jemand, der eine warme Stube gewohnt war, plötzlich obdachlos wird“, erwidert Marlies Gnade. Gewiss würden Braunbären in freier Wildbahn kilometerweit wandern, aber nur getrieben vom Hunger und verdrängt durch Rivalen. In Christa Junges Augen ist der Wegzug ohnehin ein drohender Verlust: „Die Berliner werden erst merken, was sie an den Bären hatten, wenn sie irgendwann nicht mehr da sind.“

Bis man fragt, ob die Begriffe „altengerecht“ und „artgerecht“ in diesem Fall in Deckung zu bringen sind, werden die letzten Stadtbären einen weiteren märkischen Winter verschlummern – und ein Stadtjubiläum. Denn einen Tag vor der 775-Jahr-Feier am 28. Oktober beginnt im Zwinger die Winterruhe.

Thomas Schubert